
Beim diesjährigen Blogwichteln wurde ich von Susanna Künzl bewichelt. Herzlichen Dank, liebe Susanna, für diese persönliche Geschichte rund um Ernährung und Lebensmittel. Und dies ist der Gastbeitrag:
Vegetarierinnen werden nicht geboren, Veganer auch nicht. Von Kühen und Schafen einmal abgesehen 😉 Wir Menschen entscheiden uns aus eigener Motivation im Laufe unseres Lebens für diese Art, uns zu ernähren und unsere Konsumgewohnheiten darauf auszurichten. Manche von uns schaffen das ganz leicht, andere brauchen einen längeren Anlauf, um mit den Anforderungen zurecht zu kommen. Die Gründe können ganz verschieden sein. Für mich ist die Hauptsache, dass es am Ende für dich klappt. Hier liest du meine ganz persönliche Geschichte, und meine ebenso persönliche Meinung dazu.

Der harte Weg, oder?
Ich lebe seit über 35 Jahren komplett vegetarisch. Will sagen: Milch und Eier sind OK, Fleisch und Fisch gehen nicht. Ich habe schon viel früher mit dieser Umstellung angefangen, aber mein Weg dahin war nicht ganz glatt: Obwohl ich schon lange keine Lust mehr hatte, Tiere zu essen, bin ich immer wieder mal meiner neuen Linie untreu geworden. Das zog sich eine Weile hin. Und auch immer dann, wenn ein Baby unterwegs war, habe ich intuitiv und aus Vorsicht Ausnahmen gemacht. Man weiß ja nie.
Meine Entscheidung war eigentlich ganz klar: Kein Tierleid mehr von meiner Seite. Wobei ich damals in den 80igern noch nicht auf dem Schirm hatte, dass Milch im Kaffee, Käse auf der Pizza, Leder für die Schuhe und vieles mehr genau so für die Missachtung der Tiere als Lebewesen steht.
Der Weg dahin war meine Entscheidung: Mach das, was geht. Pass es an deine Möglichkeiten und deine Vorgaben an. Aber es gibt auch noch den anderen Weg.
Ich kenne einen Veganer, der die Umstellung von 0 auf 100 geschafft hat. Keine Milch im Kaffee, sondern Hafermilch (kommt gut, weil mit lokal angebautem Hafer auch die CO2-Bilanz stimmt), Tofu statt Veggieburger (die Milch oder Käse enthalten), Schuhe ohne Leder und tierische Klebstoffe zwischen den Sohlen. Bäm!
Er weiß, wie ich ihn bewundere, aber ist sein Weg der einzig gangbare?
Positive und negative Motivation
Was ist das Ziel? Vegetarier oder Veganerin werden. Ob aus gesundheitlichen oder ethischen Gründen. Für Tierschutz oder Umweltschutz. 100% sind gut, aber hier geht es in der Praxis vor allem um die Motivation.
Wenn du einen Plan, ein Ziel hast, ist die größte Chance für die Umsetzung, dass du nicht nur rein rational komplett für dieses Ziel bist, sondern auch 100% deiner Gefühle dafür stimmen. Das ist Faktor eins. Faktor zwei betrifft alles, was du für dein Ziel aufgeben musst, und die emotionale Bedeutung, die das für dich hat. Ich z. B. war rational und gefühlsmäßig total überzeugt, dass der Wechsel meiner Ernährung zu tierfrei komplett auf meiner Linie war.
Achtung: Hier kommt Faktor zwei ist Spiel. Was muss ich aufgeben, um mein Ziel zu erreichen? Käse auf der Pizza (lecker und Umami), Milch im Kaffee (Gewohnheitssache), und hochwertige Schuhe, die damals einfach nur aus Leder waren. Und medizinische Bedenken für eine vegetarische Ernährung in der Schwangerschaft waren auch ein Aspekt.
Eine schnelle Umstellung auf vegetarisch oder vegan ist nicht jedermanns Sache. Denn: Immer, wenn deinem 100%-Plan noch irgendwelche Minuspunkte entgegenstehen, wird es problematisch. Du denkst vielleicht, dass sich alles mit deiner rationalen Entscheidung und etwas Willenskraft, Selbstdisziplin regeln lässt.
Dem ist leider nicht so, denn dann mischen sich in deine Pläne Gefühle ein. Sie sagen dir, dass du nicht alles bedacht hast, weil deine Vorstellung vielleicht von einem leckeren Essen eben doch nicht mit komplett veganen Lebensmitteln abzudecken ist. Dass du viel lieber doch den Käse auf der Pizza, die Milch im Kaffee hättest.
Wenn das so ist: Vielleicht wählst du dann den sanfteren Weg auf dein Ziel hin. Du tust alles, was du in diesem Moment leisten kannst. Und das zu 100%. Also: Kein Fleisch, keinen Fisch, vielleicht auch keine Eier. Neue Schuhe kaufst du dann auch aus der veganen Ecke, trägst aber die alten Lederschuhe auf, bis sie hinüber sind. Aber Pizza und Kaffee tierfrei? Da bist du noch nicht soweit.
Der Weg ist das Ziel – erst einmal
Herzlichen Glückwunsch: Du hast deinen persönlichen Weg gefunden, deinem Ziel näher zu kommen. Der Weg ist dann wirklich das Ziel. Und wenn du dran bleibst, kommst du immer weiter. Ohne dich zu überfordern.
Das Ergebnis: Du zahlst nicht nur auf persönliches Wohlgefühl, sondern auch auf deine Ziele wie Tierwohl, CO2-Bilanz ein. Natürlich bist du keine perfekte Vegetarierin, kein perfekter Veganer. Aber so what? Schauen wir auf das Ergebnis: Was ist besser? 1% komplette Veganer in der deutschen Bevölkerung oder 30%, 50%, die es langsam angehen und das leisten, was sie im Moment leisten können, aber dafür Erfolg mit ihrem Plan haben?
Ich habe hier mal für dich geschrieben, wie ich es angegangen bin, als es noch kein Internet und keine breit verfügbaren Informationen zu allem gab, was die Entscheidung zum Vegetarier-Leben unterstützt hätte. Meine Lebenssituation hat mir ermöglicht, bestimmte Entscheidungen zu treffen und umzusetzen. Da geht aber heute definitiv mehr!
Heute ist die Basis für deine Entscheidungen breiter. Muss Fleisch in der Schwangerschaft sein? Wie gut sind vegane Schuhe für die CO2-Bilanz? Ist verpackte Hafermilch im Bioladen wirklich besser als konventionelle Milch aus der Pfandflasche? Aber auch die Anforderungen, die mit der breiteren Information auf dich zukommen, sind anspruchsvoller. Du kannst zwar feststellen, ob Biofleisch noch irgendwie ethisch für dich vertretbar ist, aber nicht, wie die Ökobilanz von Sojamilch ausfällt. Soja aus aus China, Soja aus Österreich, Tetrapack-Verpackung, Transportwege? Oder doch lieber Milch vom Bauern nebenan?


Beim Einkaufen stehst du vor einer großen Aufgabe: Nicht nur dein Plan, dich vegetarisch oder vegan zu ernähren, kann dich heute leiten, auch CO2-Bilanz und andere Umweltfaktoren stehen jetzt auf der Liste. Das kann im Alltag ganz schön anstrengend werden. Ich kann dir nur empfehlen: Häng die Sache etwas tiefer auf. Es muss nicht perfekt sein, denn es kann nicht perfekt sein. Es sei denn, du machst alles selbst, deine Hafermilch, deine Kleidung. Das klappt nur, wenn du sehr viel Wissen, sehr viel Zeit hast. Auch hier geht es darum, alle Güter gegeneinander und mit deinen Plänen abzustimmen. Frag dich, was dir am wichtigsten ist und was du wirklich umsetzen kannst. Und dann mach das einfach!
Nicht trollen lassen!
Aber Achtung: Die Informationsquellen sind zwar seit 20 Jahren durch das Internet viel besser geworden. Hier kannst du Tipps dazu finden, wie du deinen Weg gehen und dabei motiviert bleibst. Worauf es wirklich ankommt und wo die Probleme lauern. Das kann dir weiter helfen und z. B. Bezugsquellen für Tofu aus europäischem Anbau, Rezepte für vegane Spaghetti Bolognese bescheren.
Auf der anderen Seite triffst hier du auf Menschen, die deinen Weg nicht akzeptieren können, weil du eben nicht gleich 100% irgendwas bist (vegetarisch, vegan, …). In Facebook-Gruppen und Diskussionsforen bekommst du zwar Tipps, wie du weiterkommst, aber leider auch die Fanatiker, die dich mit deiner Unvollkommenheit konfrontieren. Und das meist recht einseitig. Will sagen: Geh vollkommen vegan, sonst bist du nicht nur uninformiert, sondern auch schwach und vielleicht sogar uneinsichtig. Und hast hier nichts zu suchen. Punkt!
Wenn du wie ich den sanften Weg gehst: Lass dich nicht verunsichern, behalte dein Ziel im Auge. Und bestimme selbst, was zu deinem Leben passt. Sonst sinkt deine Motivation automatisch: Wer sich beim Blick auf sein Ziel von Forderungen, also von einem „ich muss jetzt…“ oder „ich sollte aber besser …“ leiten lässt, senkt seine Chancen, das zu tun, was er wirklich will. Verabschiede dich von allen Ideologen und Sektierern (ob sie aus der veganen oder aus der Beef-Ecke kommen) und folge deinem Tempo. Und fühl dich so wohl dabei, wie ich es tue.
P.S.: Die Milch in Kaffee und Tee habe ich kürzlich komplett gecancelt. Ohne Reue, ohne Verzicht, aber immer auf der Suche nach der besten „Unmilch“ aller Zeiten.
Geschrieben: 5. Februar 2021